Akteneinsicht: Die Grenzen des „berechtigten Interesses“ an psychiatrischen Gutachten

Ein Urteil des BayObLG klärt: Eine Anwaltskanzlei hat ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in ein psychiatrisches Gutachten zur Testierfähigkeit eines Erblassers, um eigene Ansprüche zu prüfen.

Im Erbrechtsstreit ist die Testierfähigkeit des Erblassers oft der zentrale Punkt. Wenn ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage der Testierfähigkeit vorliegt, stellt sich die Frage, ob eine Anwaltskanzlei, die einen potenziellen Erben vertritt, ein „berechtigtes Interesse“ an der Einsicht in diese vertraulichen Unterlagen hat ($\S 13$ Abs. 2 FamFG). Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat in einem Beschluss vom 7. Mai 2025 (Az.: 101 VA 12/25) die Voraussetzungen für dieses Interesse bejaht.

I. Die weite Auslegung des „berechtigten Interesses“

Das Gericht stellte klar, dass das berechtigte Interesse im Sinne von $\S 13$ Abs. 2 FamFG weit auszulegen ist:

  1. Mittelbare Betroffenheit genügt: Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel bereits vor, wenn Rechte des Antragstellers durch den Streitstoff der Akten auch nur mittelbar berührt werden können.
  2. Kein bereits bestehendes Recht nötig: Das Interesse muss sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen, sondern geht über ein rein rechtliches Interesse hinaus.

II. Der Zweck der Akteneinsicht durch die Kanzlei

Das berechtigte Interesse der Rechtsanwaltskanzlei an der Einsicht in das psychiatrische Gutachten wurde bejaht, weil es ihr eine eigenständige Prüfung ermöglicht, ob der Erblasser zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich testierfähig war.

  • Zukünftiges Verhalten beeinflusst: Maßgeblich ist, dass die Kanzlei noch nicht über die erbetenen Informationen verfügt. Das berechtigte Interesse liegt im Allgemeinen schon dann vor, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers (z.B. Klageerhebung, Anfechtung) durch die Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden kann.

III. Was bedeutet das für die Praxis?

  • Erleichterte Akteneinsicht: Potenziellen Erben oder Pflichtteilsberechtigten wird die Akteneinsicht in Gutachten zur Testierfähigkeit erleichtert, da das Gericht keine hohen Anforderungen an die Darlegung des berechtigten Interesses stellt.
  • Prüfung von Ansprüchen: Der Zugang zu diesen Unterlagen ist essenziell, um Ansprüche überhaupt erst fundiert verfolgen oder abwehren zu können.

Quellenangabe:

BayObLG, Beschluss vom 07.05.2025, Az.: 101 VA 12/25, BeckRS 2025, 9332.

$\S 13$ Abs. 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).

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