Auslandsstiftungen: BFH entscheidet zur Zurechnungsbesteuerung und Kapitalverkehrsfreiheit
In einem wegweisenden Urteil vom 3. Dezember 2024 (Az.: IX R 32/22) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Zurechnungsbesteuerung bei ausländischen Familienstiftungen neu bewertet. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Stifter und Begünstigte, insbesondere im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit und die sogenannte "Escape-Klausel" in § 15 Abs. 6 AStG.
Der Fall: Schweizer Stiftung und Zurechnungsbesteuerung
Das Finanzamt wollte das Einkommen einer Schweizer Familienstiftung den deutschen Destinatären zurechnen. Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG soll Steuerflucht und Steuervermeidung bekämpfen. Die Klägerin argumentierte, die Besteuerung verstoße gegen die Grundfreiheiten der Europäischen Union.
Die zentralen Entscheidungen des BFH
Der BFH stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zurechnung des Einkommens der Stiftung an die deutschen Destinatäre zwar grundsätzlich vorlagen. Er kam jedoch zu dem Schluss, dass die Zurechnungsbesteuerung aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts in diesem Fall unterbleiben muss.
Dabei traf der BFH folgende wichtige Feststellungen:
- Ausweitung der Escape-Klausel: Die sogenannte Escape-Klausel (§ 15 Abs. 6 AStG) besagt, dass die Zurechnungsbesteuerung ausnahmsweise nicht angewendet wird, wenn das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Begünstigten entzogen ist. Bisher war diese Regelung auf Stiftungen im EU-/EWR-Raum beschränkt. Der BFH entschied, dass diese Beschränkung gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Daher muss die Escape-Klausel nun auch auf Stiftungen in Drittstaaten wie der Schweiz angewendet werden.
- Zivilrechtliche Betrachtung der Verfügungsmacht: Der BFH stellte klar, dass für die Beurteilung, ob das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht entzogen ist, ausschließlich die zivilrechtliche Lage entscheidend ist. Es kommt nicht auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an. Entscheidend ist, ob Stifter oder Begünstigte das Stiftungsvermögen herausverlangen oder selbst darüber verfügen können.
- Anfallsberechtigung: Eine Anfallsberechtigung, die zur Zurechnungsbesteuerung führen kann, setzt keine einklagbaren Ansprüche voraus, sondern lediglich eine gesicherte Rechtsposition. Das bedeutet, eine begründete Aussicht, im Falle der Auflösung der Stiftung eine Auskehrung zu erhalten, reicht aus.
Was bedeutet das Urteil für die Praxis?
Dieses Urteil bringt mehr Klarheit und Rechtssicherheit für Stifter und Begünstigte von ausländischen Familienstiftungen und Trusts. Die zivilrechtliche Auslegung der Verfügungsmacht lockert die bisherige, oft strengere Handhabung der Finanzverwaltung.
- Mehr Gestaltungsspielraum: Stifter müssen sich nicht mehr jeglicher Einflussnahme entledigen, um die Zurechnungsbesteuerung zu vermeiden. Solange sie zivilrechtlich nicht über das Stiftungsvermögen verfügen können, ist die Escape-Klausel anwendbar.
- Anwendbarkeit auf Trusts: Die Entscheidung gilt auch für Trusts, die steuerrechtlich als Körperschaften behandelt werden, was insbesondere für den anglo-amerikanischen Raum von großer Bedeutung ist.
- Weiterhin Anzeige- und Erklärungspflicht: Stifter und Begünstigte müssen weiterhin ihre Anzeigepflichten erfüllen, damit die Finanzbehörden die Voraussetzungen der Escape-Klausel prüfen können.
Die Entscheidung ist ein wichtiger Schritt zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an die europarechtlichen Vorgaben und stärkt die Testier- und Gestaltungsfreiheit im internationalen Kontext.
Benötigen Sie rechtliche Unterstützung im Erbrecht?
Unsere Experten stehen Ihnen zur Seite! Vereinbaren Sie jetzt eine Erstberatung und lassen Sie sich umfassend zu Ihren Rechten und Möglichkeiten beraten. Kontaktieren Sie uns noch heute!