Ersatzerbenbestimmung: Vorrang vor Anwachsung bei der Einsetzung von Geschwistern
Die Ersatzerbeneinsetzung ist ein wichtiger Schutzmechanismus in Testamenten, falls ein Bedachter vor dem Erblasser wegfällt. Fehlt eine solche Regelung, stellt sich die Frage, ob der Erbteil den übrigen Erben anwächst ($\S 2094$ BGB) oder ob die Abkömmlinge des Weggefallenen als Ersatzerben berufen sind.
Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hat in einem Beschluss vom 24. September 2025 (Az.: 3 W 149/24) entschieden, dass bei der Einsetzung von Geschwistern die konkludente Ersatzerbeneinsetzung der Abkömmlinge Vorrang vor der Anwachsung hat.
I. Der Fall: Vorverstorbener Bruder und gesetzliche Anwachsung
Ein Erblasser (E) hatte seine Geschwister, den Bruder und die Schwester (S), je zu 50 % als Erben eingesetzt. Der Bruder verstarb vor dem Erblasser und hinterließ einen Sohn (N). S beantragte einen Erbschein als Alleinerbin, da ihr der Erbteil des Bruders angewachsen sei. Der Neffe N hielt dagegen.
II. Die OLG-Entscheidung: Begünstigung des Stammes
Das OLG Brandenburg gab dem Neffen N Recht.
- Keine Anwendung der Auslegungsregel: Die gesetzliche Auslegungsregel des $\S 2069$ BGB (Ersatzberufung der Abkömmlinge) ist nicht auf Seitenverwandte (wie Geschwister) anwendbar.
- Konkludente Ersatzerbeneinsetzung: Das Gericht leitete jedoch aus der Lebenserfahrung und den Umständen des Einzelfalls eine konkludente Ersatzerbeneinsetzung ab. Die Einsetzung der Geschwister galt als Begünstigung des jeweiligen Stammes.
- Indizien: Ein starkes Indiz war die Tatsache, dass der Erblasser alle seine Geschwister bedachte, was dafür spricht, dass er die Begünstigung nicht vom Zufall des zeitlichen Versterbens abhängig machen wollte.
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- Vorrang vor Anwachsung: Die durch Auslegung festgestellte Ersatzerbeneinsetzung hat Vorrang vor der gesetzlichen Anwachsung nach $\S 2094$ BGB.
III. Was bedeutet das für die Praxis?
Dieses Urteil unterstreicht die Notwendigkeit einer klaren Testamentsgestaltung.
- Dringende Empfehlung: Um Streitigkeiten zu vermeiden, sollten Sie in jedem Testament die Frage der Berufung von Ersatzerben – positiv oder negativ – klar regeln.
- Auslegungsrisiko bei Seitenverwandten: Bei der Einsetzung von Seitenverwandten (Tanten, Onkeln, Geschwistern) ist das Risiko groß, dass das Gericht eine Ersatzberufung der Abkömmlinge annimmt.
Quellenangabe:
OLG Brandenburg, Beschluss vom 24.09.2025, Az.: 3 W 149/24, Abruf-Nr. 251289.
$\S\S 2094, 2069$ Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Quelle: Ausgabe 12 / 2025 | Seite 293 | ID 50628458.
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