Pflichtteilsergänzung: Kein Anspruch bei Verzicht auf Vermächtnis und Abschluss eines Mietvertrages
Die Verfolgung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen ist oft aufwändig und setzt voraus, dass der Erblasser den Genuss eines verschenkten Gegenstands nicht aufgegeben hat. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat in einem Beschluss vom 2. Juni 2025 (Az.: I-10 U 3/25) entschieden, dass weder der Verzicht auf ein Vermächtnis noch ein bloßer Mietvertrag die Verjährung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs hemmen.
Der Fall: Zwei Streitpunkte in der Stufenklage
Eine Tochter (Klägerin) forderte von ihrer Nichte (Beklagte, Alleinerbin) Auskunft über den Nachlass und die Wertermittlung eines Grundstücks. Die Klägerin war der Ansicht, dass ihre Mutter (F) und ihr Vater (E) das Grundstück zwar 2012 an die Nichte übertragen hatten, aber die 10-Jahres-Frist für die Pflichtteilsergänzung noch nicht angelaufen sei. Begründet wurde dies mit einem Mietvertrag und einem Verzicht auf ein Vermächtnis.
Das OLG Hamm wies die Berufung der Klägerin ab.
I. Der Verzicht auf das Vermächtnis ist keine Schenkung
Die Klägerin verlangte Auskunft über Vermögensgegenstände, die ihrem Vater E durch das Testament ihrer vorverstorbenen Mutter F vermacht waren. Der Vater hatte jedoch auf dieses Vermächtnis verzichtet.
- Keine Schenkung bei Unterlassung des Erwerbs: Das OLG stellte fest, dass die unterbliebene Geltendmachung eines Vermächtnisses keine Schenkung im Rechtssinne darstellt (§517 BGB). Es handelt sich lediglich um die Unterlassung eines Vermögenserwerbs.
- Keine Auskunftspflicht: Da keine Schenkung vorlag, bestand auch keine Pflicht der Alleinerbin zur Auskunft über diese Gegenstände.
II. Der Mietvertrag hemmt nicht den Fristbeginn
Die Tochter argumentierte, ihr Vater habe sich den Genuss an der 2012 übertragenen Immobilie vorbehalten, weil er einen Mietvertrag mit seiner Enkelin abgeschlossen hatte. Dies hätte den Lauf der 10-Jahres-Frist für die Pflichtteilsergänzung gehemmt.
- Grundsatz der Genussrechtsprechung: Nach der BGH-Rechtsprechung beginnt die 10-Jahres-Frist nur dann zu laufen, wenn der Erblasser den Genuss des verschenkten Gegenstands tatsächlich aufgibt. Ein vorbehaltenes dingliches Recht wie ein Nießbrauch hemmt die Frist.
- Keine Hemmung durch Mietvertrag: Das OLG entschied, dass ein bloßer Mietvertrag keine Hemmung bewirkt. Ein Mietvertrag ist ein schuldrechtlicher Vertrag, der jederzeit kündbar ist, und der Erblasser hatte sich keine dinglichen Rechte (Nießbrauch oder Wohnrecht) vorbehalten.
- Folge: Da der Vater nach der Übertragung und dem Mietvertrag nicht mehr „Herr im Haus“ war, lief die 10-Jahres-Frist mit der Umschreibung im Grundbuch an. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch war zum Zeitpunkt des Erbfalls (2022) verjährt.
Fazit und Bedeutung für die Praxis
- Klare Trennung: Verzicht auf ein Vermächtnis ist keine Schenkung.
- Mietvertrag ist keine Absicherung: Ein Mietvertrag ist kein geeignetes Instrument, um den Genussvorbehalt im Sinne des Pflichtteilsrechts zu sichern. Nur dinglich gesicherte Rechte wie ein Nießbrauch können die 10-Jahres-Frist hemmen.
Quellenangabe:
OLG Hamm, Beschluss vom 02.06.2025, Az.: I-10 U 3/25.§2314 Abs. 1 S. 2 u. 3, §2325 Abs. 1 u. 3, §2180,§517 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
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