Pflichtteilsergänzung: Wann die 10-Jahres-Frist bei Schenkung nicht beginnt
Schenkungen, die länger als zehn Jahre zurückliegen, werden in der Regel nicht mehr für den Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) herangezogen. Doch diese 10-Jahres-Frist beginnt nur dann zu laufen, wenn der Erblasser den „Genuss“ des verschenkten Gegenstands vollständig aufgegeben hat. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat in einem Urteil vom 27. Juni 2025 (Az.: 1 U 1335/24 Erb) entschieden, dass bei einer Grundstücksschenkung gegen eine Leibrente in Höhe der erzielten Mieteinnahmen diese Frist nicht zu laufen beginnt.
Der Fall: Grundstücksüberlassung gegen Leibrente
Eine Erblasserin hatte 1995 vier Grundstücke an ihren Sohn übertragen. Als Gegenleistung vereinbarten die Parteien eine lebenslange Leibrente in Höhe der monatlichen Netto-Mieteinnahmen der Immobilien. Diese Zahlung wurde durch eine Reallast am Grundstück dinglich gesichert. Der Sohn wurde 1996 im Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Im Jahr 2013 verzichtete die Erblasserin auf die Leibrente und löschte die Reallast im Grundbuch.
Nach dem Tod der Erblasserin im Jahr 2021 forderte die Tochter einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Der Sohn argumentierte, die Schenkung liege mehr als zehn Jahre zurück und sei daher verjährt.
Die OLG-Entscheidung: Die wirtschaftliche Betrachtung ist entscheidend
Das OLG Nürnberg gab der Tochter Recht und urteilte, dass die Schenkung noch nicht aus dem Pflichtteilsergänzungsanspruch herausgefallen ist.
- Keine Aufgabe des „Genusses“: Das Gericht stellte fest, dass die Erblasserin den „Genuss“ des verschenkten Grundstücks nicht aufgegeben hatte. Obwohl sie nicht mehr Eigentümerin war, erhielt sie durch die Leibrente weiterhin die vollen Erträge aus dem Mietobjekt.
- Wirtschaftliche statt rechtliche Betrachtung: Entscheidend ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise. Da die Höhe der Rente an den Mieterträgen des Grundstücks ausgerichtet war, hatte sich die wirtschaftliche Situation der Erblasserin durch die Übertragung nicht wesentlich geändert.
- Fristbeginn erst mit Verzicht: Die 10-Jahres-Frist begann erst zu laufen, als die Erblasserin im Jahr 2013 auf die Leibrentenzahlung verzichtete und die Reallast im Grundbuch löschte. Die Schenkung war daher zum Zeitpunkt des Erbfalls (2021) noch nicht verjährt.
Was bedeutet das für die Praxis?
Dieses Urteil hat wichtige Konsequenzen für die Nachlassplanung.
- Genussvorbehalte vermeiden: Wenn Sie bei der Übertragung von Immobilien die 10-Jahres-Frist des § 2325 BGB auslösen möchten, dürfen Sie sich keine umfassenden Rechte wie ein Nießbrauchrecht, ein Wohnrecht oder eine Leibrente in Höhe der Erträge vorbehalten.
- Echte Gegenleistung: Eine Leibrente wird nur dann als echte Gegenleistung gewertet, wenn sie von den Erträgen des Objekts unabhängig ist und der Schenker die volle wirtschaftliche Kontrolle verliert.
- Ausblick: Die Revision gegen dieses Urteil wurde zugelassen. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH entscheiden wird.
Quellenangabe:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 27.06.2025, Az.: 1 U 1335/24 Erb.§§2325,2314 Abs. 1 S. 2, §§ 516, 759, 1105 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).(Verweist auf BGH, Urteile vom 27.04.1994, Az.: IV ZR 132/93, und vom 29.06.2016, Az.: IV ZR 474/15).
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