Pflichtteilsergänzung: Wann die 10-Jahres-Frist bei Schenkung nicht beginnt

Ein Urteil des OLG Nürnberg klärt: Bei einer Grundstücksschenkung gegen eine Leibrente in Höhe der Mieteinnahmen beginnt die 10-Jahres-Frist für die Pflichtteilsergänzung nicht zu laufen.

Die Verfolgung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen ist oft aufwändig und setzt voraus, dass der Erblasser den Genuss eines verschenkten Gegenstands nicht aufgegeben hat. Die 10-Jahres-Frist für die Pflichtteilsergänzung beginnt nur dann zu laufen, wenn die Schenkung vollständig aus dem Vermögen des Erblassers ausgegliedert ist. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg hat in einem Urteil vom 27. Juni 2025 (Az.: 1 U 1335/24 Erb) entschieden, dass bei einer Grundstücksüberlassung gegen eine an die Mieteinnahmen gekoppelte Leibrente diese Frist nicht zu laufen beginnt.

Der Fall: Grundstück gegen Leibrente in Höhe der Miete

Eine Erblasserin übertrug 1995 Grundstücke an ihren Sohn (Beklagter). Als Gegenleistung vereinbarten sie eine lebenslange, wertgesicherte Leibrente, die durch eine Reallast am Grundstück dinglich gesichert wurde. Im Überlassungsvertrag wurde die Leibrente explizit an den erzielten Netto-Mieteinnahmen des Objekts ausgerichtet. Die Tochter der Erblasserin forderte im Jahr 2021 einen Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Der Sohn argumentierte, die Schenkung sei mehr als zehn Jahre her und damit nicht mehr zu berücksichtigen.

Die OLG-Entscheidung: Fehlender "Genussverzicht"

Das OLG Nürnberg gab der Tochter Recht und urteilte, dass die 10-Jahres-Frist gehemmt war.

  1. Wirtschaftliche Betrachtung: Das Gericht stellte fest, dass es unerheblich ist, ob die Leistung als Nießbrauch (Nutzungsrecht) oder als Leibrente (Zahlungsanspruch) vereinbart wird. Entscheidend ist die wirtschaftliche Betrachtung.
  2. Kein Genussverzicht: Da die Leibrente an den erzielten Mieteinnahmen des Objekts orientiert war, erlitt die Erblasserin keinen spürbaren Vermögensverlust. Sie konnte weiterhin die Nutzungen des verschenkten Objekts in gleicher Höhe ziehen.
  3. Fristbeginn erst mit Verzicht: Der Genussverzicht erfolgte erst im Jahr 2013, als die Erblasserin auf die Leibrente verzichtete und die Reallast löschen ließ. Da der Erbfall 2021 eintrat, war der Wert des Schenkungsanteils noch zu 30 % ergänzungspflichtig.

Was bedeutet das für die Praxis?

  • Genussvorbehalte vermeiden: Um die 10-Jahres-Frist des §2325 BGB auszulösen, muss der Erblasser die wirtschaftliche Herrschaft über das verschenkte Vermögen vollständig und ohne Rücksicht auf dessen Erträge aufgeben.
  • Leibrente kann schädlich sein: Eine Leibrente, die an die Erträge der Immobilie gekoppelt ist, wird wie ein vorbehaltenes Nutzungsrecht behandelt und verhindert den Fristanlauf.
  • Ausblick: Die Revision gegen dieses Urteil wurde zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH diese Rechtsauffassung bestätigt.

Quellenangabe:

OLG Nürnberg, Endurteil vom 27.06.2025, Az.: 1 U 1335/24 Erb.§§2325,2314 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).(Verweist auf BGH, Urteile vom 27.04.1994 und vom 29.06.2016).

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