Sittenwidriger Grundstücksverkauf: Die Grenzen der ordnungsgemäßen Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker

Ein Urteil des OLG Stuttgart klärt: Ein sittenwidriger Grundstücksverkauf durch einen Testamentsvollstrecker ist unwirksam, auch wenn die Erbin zustimmt.

Die Veräußerung eines Nachlassgrundstücks durch einen Testamentsvollstrecker gehört zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses. Doch was passiert, wenn das Grundstück weit unter seinem tatsächlichen Wert verkauft wird? Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat in einem Urteil vom 24. Juli 2025 (Az.: 2 U 30/23) entschieden, dass ein solcher Verkauf sittenwidrig sein kann und die Zustimmung der Erbin die Unwirksamkeit nicht heilt.

Der Fall: Verkauf unter Wert und sittenwidrige Umstände

Ein Testamentsvollstrecker veräußerte im Namen der alleinigen Erbin ein Nachlassgrundstück für 90.000 EUR. Der tatsächliche Verkehrswert betrug jedoch 195.000 EUR. Die 70-jährige Erbin, die fast blind und schwerhörig war, befand sich in einem Schwächezustand und war auf die Hilfe des Käufers angewiesen.

Die Erbin verweigerte nach der Auflassung die Herausgabe der Schlüssel und argumentierte, der Kaufvertrag sei nichtig. Der Käufer klagte daraufhin auf Herausgabe des Grundstücks.

Die OLG-Entscheidung: Zustimmung ist nichtig und Vertrag unwirksam

Das OLG Stuttgart wies die Klage des Käufers ab und bestätigte die Nichtigkeit des Kaufvertrags.

  1. Sittenwidrigkeit der Zustimmung: Das Gericht stellte fest, dass der Testamentsvollstrecker für den Verkauf die Zustimmung der Erbin benötigte. Die Einholung dieser Zustimmung wurde jedoch als sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) bewertet. Dies wurde mit den Grundsätzen des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts begründet, da ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestand und die Schwächesituation der Erbin ausgenutzt wurde.
  2. Keine ordnungsgemäße Verwaltung: Das Gericht befand zudem, dass der Testamentsvollstrecker gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses verstoßen hat. Er hätte erkennen müssen, dass der Kaufpreis deutlich zu niedrig war, und hätte eine sorgfältige Prüfung vornehmen müssen.
  3. Nichtigkeit beider Geschäfte: Die Nichtigkeit der Zustimmung der Erbin führte zur Unwirksamkeit sowohl des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts (Kaufvertrag) als auch des dinglichen Verfügungsgeschäfts (Auflassung).

Was bedeutet das für die Praxis?

Dieses Urteil gibt wichtige Hinweise für Testamentsvollstrecker und Erben.

  • Sorgfaltspflicht des Testamentsvollstreckers: Ein Testamentsvollstrecker muss bei der Veräußerung von Nachlassgegenständen mit besonderer Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt handeln. Preisvorstellungen, die deutlich unter dem Verkehrswert liegen, müssen hinterfragt werden.
  • Schutz vor sittenwidrigen Geschäften: Ältere, gebrechliche oder in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkte Personen können sich vor sittenwidrigen Veräußerungen schützen, selbst wenn sie dem Geschäft formal zugestimmt haben.
  • Doppelte Unwirksamkeit: Die Sittenwidrigkeit eines Geschäfts kann sich nicht nur auf den Kaufvertrag, sondern auch auf die dingliche Übertragung auswirken, was den Schutz des Nachlasses erhöht.

Quellenangabe:

OLG Stuttgart, Urteil vom 24.07.2025, Az.: 2 U 30/23.§2205,§2206,§138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

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